(4) Die Anfänge der Kinderheilkunde in Berlin

 

 

Das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus – die spätere Kinderklinik des Universitätsklinikums Rudolf Virchow an der Reinickendorfer Straße im Wedding

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Abb. 1: Das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus im Wedding im Jahr 1890

Auf Initiative des Pädiaters Adolf Baginski wurde am 05. Juli 1890 mit Unterstützung von Rudolf Virchow das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Hospital im Norden Berlins (im heutigen Stadtbezirk Wedding) eröffnet. Die Festrede hielt Rudolf Virchow. Die Finanzierung des Kinderkrankenhauses erfolgte zunächst über eine Stiftung. Den größten Teil der Investitionsmittel stellte die Kaiser-Friedrich-Stiftung zur Verfügung.

Das Kinderkrankenhaus war von Anfang an in eine Abteilung für interne Pädiatrie und eine Abteilung für Kinderchirurgie gegliedert. Infektionspavillions, die als in sich abgeschlossene Einheiten konzipiert waren, ermöglichten die Isolation von infektiösen Patienten.

Da die Finanzen der Stiftung nicht mehr ausreichten, wurde die Klinik am 1. Oktober 1901 von der städtischen Verwaltung Berlins übernommen.

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Abb. 2: Adolf Baginsky (1843 – 1918). Leiter des Kinderkrankenhauses 1890 -1918

 

Baginsky wurde 1843 in Ratiba Schlesien geboren. Er habilitierte 1882 an der Berliner Universität. Baginsky betrieb eine Privatpraxis und Kinderpoliklinik in Berlin, arbeitete zusätzlich im Institut von R. Virchow mit. 1890 übernahm er die Leitung des Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Krankenhauses, die er bis 1918 inne hatte.

1892 wurde Baginsky außerordentlicher Professor der Berliner Universität.

Fachlich-wissenschaftliche Leistungen

Baginsky machte sich um die Sozialpädiatrie verdient. Unter seinen Schriften ist das „Handbuch der Schulhygiene“ besonders bekannt. Baginsky gab ein Lehrbuch der Kinderkrankheiten heraus, weiterhin das Buch „Die Pflege des gesunden und kranken Kindes“. 1877 gründete er mit A. Monti die „Centralzeitung für Kinderheilkunde“, die später als „Archiv für Kinderheilkunde“ bzw. seit 1972 als Zeitschrift für „Klinische Pädiatrie“ erschien. A. Baginsky setzte sich für die Einrichtung von Milchanstalten zur Gewinnung sauberer Säuglingsmilch, für Kinderkrippen und –asyle, Kinderspielplätze und eine ärztliche Schulaufsicht ein (Oehme 1993).

Praktisch-technische Leistungen

Baginsky entwarf das heute noch übliche Kinderbett (Abb. 4), entwickelte eine elektrische Sicherheitscourveuse für Frühgeborene und initiierte die Graduierung von Milchflaschen. Baginsky wurde aufgrund seiner Verdienste um die Kinderheilkunde zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde ernannt. Er gehört zu den Mitbegründern der Gesellschaft für Kinderheilkunde.

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Abb. 3: Baginskys Handbuch der Schulhygiene, 1. Auflage 1876

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Abb. 4: Kinderbett nach Baginsky u. Herfordt, mit verstellbarem Bettenboden und beweglichen Seitenwänden

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Abb. 5: Themistokles Gluck. 1. Leitender Kinderchirurg des Kinderkrankenhauses 1890 – 1924

Es war 1890 eine Besonderheit, dass die Kinderchirurgie von Anfang an in ein Kinderkrankenhaus integriert wurde. Der Leiter der kinderchirurgischen Abteilung Th. Gluck wurde bei Langenbeck, Virchow und von Bergmann ausgebildet. Schwerpunkt der Tätigkeit Glucks war u.a. die Therapie der Skelett-Tuberkulose. Mit Transplantations-versuchen beschäftigte er sich experimentell. Gluck leitete die chirurgische Abteilung von 1890 bis 1924. Nachfolger wurden G. Lange, W. Weidemann, W. Hasse und G. Pistor.

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Abb. 6: Heinrich Finkelstein  (1865 – 1942) Leiter des Kinderkrankenhauses 1918 – 1933

Nachfolger Baginskys in der Leitung des Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhauses wurde 1918 Heinrich Finkelstein. Finkelstein wurde 1865 in Leipzig als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er studierte Geologie in Leipzig und München und nach der Promotion zum Dr. phil. noch Medizin in Leipzig. 1897 promovierte er zum Dr. med. Seine kinderärztliche Ausbildung erhielt er von 1894 – 1900 bei O. Heubner an der Charité – Kinderklinik in Berlin. Im Mai 1899 habilitierte Finkelstein und übernahm 1902 die Leitung des Kinderasyls in der Kürrasierstraße in Berlin und nachfolgend die Leitung des Städtischen Waisenhauses in der Alten Jacobstr. Er wurde 1886 Titular und 1908 a.o. Professor der Berliner Universität. Das Kaiserin- und Kaiser-Friedrich-Kinderkrankenhaus leitete er von 1918 bis zu seiner Emeritierung am 31.03.1933.

Fachlich-wissenschaftliche Leistungen

Finkelsteins fachlicher Schwerpunkt galt Säuglingskrankheiten und -ernährung. Berühmt wurde sein viermal verlegtes Buch über Säuglingskrankheiten, so wie eine vom ihm entwickelte Säuglingsmilch, die „Finkelstein’sche Eiweißmilch“. Im Handbuch für Kinderheilkunde von Pfaundler und Schloßmann bearbeitete er das Kapital „Ekzem und ekzemähnliche Dermatitis“, auch arbeitete in dem bekannten Lehrbuch von Feer mit. 1922 gab er mit Galewski und Halberstädter einen „Atlas der Haut- und Geschlechtskrankheiten im Kindesalter“ heraus. Seine Publikationsliste umfasst über 200 Arbeiten. Besonders verdienstvoll sind Finkelsteins Bemühungen zur Senkung der Säuglingssterblichkeit. Durch organisatorisch, ärztliche und hygienische Maßnahmen sowie Verbesserung der Ernährung gelang es ihm im Waisenhaus innerhalb von wenigen Jahren die Sterblichkeit von 39 % (1900/1901) auf 7,6 % im Jahre 1908 zu senken.

Antisemitische Verfolgung und Emigration

Finkelstein gehörte wie die jüdischen Kinderärzte E. Henoch, A. Jacobi, A. Baginsky, A. Schloßmann, St. Engel, L. F. Meyer und L. Langstein zu den aktiven jüdischen Kinderärzten, die Pioniere der deutschen Pädiatrie waren. Von 1253 im Jahre 1933 registrierten deutschen Pädiatern waren 611 (48,8 %) jüdische Kinderärzte, die unter die degradierten und vital gefährdeten NS-Rassengesetze fielen. Dies betraf auch H. Finkelstein, dessen pädiatrische Leistungen e von den NS-Machthabern ignoriert wurden. 1934 wurde ihm die Kassenzulassung entzogen, 1936 folgte die Aberkennung der Lehrbefugnis und des Professorentitels. Finkelstein blieb 1939 nur die Wahl zwischen Emigration und Deportation. Er emigrierte nach Santiago de Chile, wo er Freunde und Schüler hatte. Dort verstarb er unter Heimweh leidend 1942 an Typhus. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde ließ auf seinen Grabstein einmeißeln: „In Dankbarkeit und Verehrung“ ein Wort das auch die zukünftigen deutschen Pädiater in fester Erinnerung behalten sollen und müssen. Die Norddeutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin ehrt das Andenken Finkelsteins durch die jährliche Vergabe des „Finkelstein-Preises“ an den wissenschaftlichen Nachwuchs.

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Abb. 7: 4. Auflage der „Säuglingskrankheiten“ von H. Finkelstein, die 1938 nicht mehr in Deutschland erscheinen konnte

Die weitere Entwicklung des Kinderkrankenhauses

Finkelsteins Nachfolge als Leiter des Krankenhauses übernahm 1933 L. F. Meyer, der als Jude sein Amt nicht antreten konnte. Ihm folgte P. Reyther und nach dessen frühen Tod 1934, kam H. Opitz.

1945 übernahm Arno Nohlen die Leitung des erheblich zerstörten Krankenhauses, das nun in „Städtisches Kinderkrankenhaus Wedding“ umbenannt wurde. Ihm folgte am 01.01.1965 Egon Werner.

1974 wurde die innere pädiatrische Klinik geteilt und Burghardt Stück zum Leiter der 2. Inneren Abteilung berufen. Nach dem altersbedingten Ausscheiden von E. Werner hat er die Klinik von 1986 – 1994 geleitet. Anschließend arbeitete er noch in der WHO-Kommission zum Nachweis der Poliomyelitis-Eradikation mit.

Die Kinderklinik wurde 1970 um den Neubau eines Bettenhauses und zusätzlicher Einrichtungen erweitert.

1996 erfolgte die Schließung der Klinik am Standort und die räumliche Integration in die Universitäts-Kinderklinik des Virchow-Klinikums am Augustenburger Platz, nachdem sie verwaltungstechnisch bereits 1963 mit dem Rudolf Virchow-Klinikum zusammengeschlossen worden war.

 

Das Oscar-Helene-Heim zur Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder in Berlin-Dahlem

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Abb. 5: Das Oscar-Helene-Heim für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder

Konrad A.T. Biesalski

Kinderorthopäde und Pionier der Krüppelfürsorge

Konrad A. T. Biesalski wurde am 14. November 1869 in Osterode / Ostpreußen geboren. Er studierte und promovierte in Halle und war nachfolgend in der Orthopädie tätig. Im Rahmen seiner Ausbildung arbeitete er auch bei Otto Heubner.

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Abb. 6: Konrad A. T. Biesalski (1868 – 1930), Orthopäde, Leiter des Oscar-Helen-Heims von 1914 – 1930

Fachliche-wissenschaftlich Leistungen

1914 übernahm er die Leitung des „Oskar-Helene-Heims für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder“ in Berlin-Dahlem (genannt nach den Mäzenen Oskar und Helene Pintsch).

Bereits 1909 gründete Biesalski die „Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge“, die sich besonders um die Verbesserung der Situation körperbehinderter Kinder bemühte.

Frühzeitig erkannte er die Bedeutung einer notwendigen frühen Förderung behinderter Kinder und den hieraus auch für die Gesellschaft entstehenden Nutzen, der entsteht wenn Behinderte nicht zu Almosenempfängern sondern durch „eigene Arbeit“ zu Steuerzahlern werden.

Sein Ziel hieß: „Verhütung, Heilung, Erwerbsbefähigung“.

Biesalskis Credo mündet in den Worten: „Mindestens 60 % allen Krüppeltums kann vermieden werden, wenn im Kindesalter die Krüppelgebrechen erkannt und dann mit geringer Mühe restlos beseitig werden.“

Eine besondere Bedeutung für die Krüppelfürsorge in Deutschland erlangte Biesalskis Schrift „Leitfaden der Krüppelfürsorge“, die 1911 erschien.

An der Erarbeitung des preußischen „Krüppelfürsorgesetzes“ im Jahre 1920, das unter anderem eine Meldepflicht und soziale Fürsorge beinhaltete, war Biesalski maßgeblich beteiligt.

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Abb. 7: Huldschinsky, Assistenzarzt des Oscar-Helen-Heims, Entdeckte 1919 die Heilwirkung der UV-Strahlen zur Rachitis-Behandlung

1919 führte der Assistent des Oscar-Helene-Heims K. Huldschinsky die revolutionäre Ultraviolettlichtbehandlung (Höhensonnenbehandlung) bei Kindern mit Rachitis ein, die eine segensreiche Wirkung bei dieser häufigen Säuglings- und Kleinkinderkrankung hatte.

 

Quelle: Poster-Zusammenstellung V. Hesse, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin „Lindenhof“ Berlin, Akad. Lehrkrankenhaus der Charité-Universitätsmedizin; Stück,  Ehemalige Kinderklinik des Rudolf-Virchow-Klinikums, Reinickendorf; Design: St. Lüder, U. Voß, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin „Lindenhof“ Berlin, Akad. Lehrkrankenhaus der Charité-Universitätsmedizin. Bearbeitet C. Bader. 

 

5 – Die Anfänge der Kinderheilkunde in Berlin

Das Kaiserin Auguste Victoria Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche.