Wir möchten Ihnen einen historischen Überblick über die Entwicklung der Berliner Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin geben. Für weitere Anregungen und Beiträge sind wir dankbar. Kontaktieren Sie bitte hierzu unser Sekretariat.

 

1. Die Vorgeschichte

beginnt 1909 mit der Gründung des Berliner „Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde“.
Am 15.5.1931 erfolgte der Austritt aus dem „Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde“ und die Gründung der „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“. Erster Vorsitzender war Adalbert Czerny.

1. Vorsitzender:    Adalbert Czerny
2. Vorsitzender:   Heinrich Finkelstein
Schriftführer:       Leo Langstein
Weitere Vorstandsmitglieder:   A. Orgler, G. Tugendreich, F. Rott, P. Reyher, L.F. Meyer, I. Rosenstern
Im Beirat:             E. Müller, E. Nassau, H. Eckert, J. Peiser, E. Schiff, O. Meyer-Housselle, A. Japha
Geschäftsführer:  Oberingenieur und Konsul h.c. Georg Mylius
Tagungslokal:      Langenbeck-Virchow-Haus in der Luisenstraße.

Es erfolgten rege Gesellschaftsaktivitäten mit monatlichen Fortbildungsvorträgen, von Berliner Vortragenden und auswärtigen Referenten (unter anderem Degkwitz/ Greifswald, Birk/ Tübingen, Seckel/ Köln, Klotz/ Lübeck).

 

1932/ 1933

Emeritierung von Adalbert Czerny. Sein Nachfolger Georg Bessau hält am 23.1.1933 seine Antrittsvorlesung an der Charité-Kinderklinik. Am 25.3.1933 wird mit einem festlichen „Bierabend“ der 70. Geburtstag von Czerny gefeiert, gemeinsam organisiert von der Universitätskinderklinik, der Direktion der Charité und der „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“.

Am Vortag, dem 24.3.1933, erfolgt die „Gleichschaltung der ärztlichen Spitzenverbände mit den Kräften der nationalen Erhebung und nationalen Regierung“. Die Verbände werden aufgefordert, jüdische Mitglieder aus Vorstand und Ausschüssen auszuschließen.

Am 29.3.1933 besetzt die Sturmabteilung (SA), die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP, das Berliner Ärztehaus. Alle jüdischen Vorstandsmitglieder der Berliner Ärztekammer erklären „freiwillig“ ihren Rücktritt. Die jüdischen Vorstands- und Beiratsmitglieder der „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“ Finkelstein, Tugendreich, Langstein, Rosenstern, Peiser, L.F. Meyer, Japha, Nassau, Schiff und Meyer-Housselle treten zurück. Damit ist über die Hälfte der Funktionsträger der Gesellschaft zurückgetreten. Czerny betrachtet sich zwar noch als Vorsitzenden, suspendiert aber alle Aktivitäten vorläufig bis zum Herbst.

Am 7.6.1933 stirbt Langstein, es wird Selbstmord vermutet. Die „alte“ „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“ ist nie wieder zusammengetreten.

 

2. „Gleichschaltung“:

Als hätte es sie nie gegeben, findet am 8.11.1935 im Hörsaal der Charité-Kinderklinik die festliche „Gründung der Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“ statt, zu der, wie es in der „Kinderärztlichen Praxis“ hieß, „alles erschienen war, was in Berlin kinderärztlich tätig oder interessiert ist.“

Zumindest für Finkelstein, Schiff, Nassau, Peiser, Japha, Rosenstern, Tugendreich und Orgler, die zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin lebten, traf das wohl nicht zu. Sie wurden vermutlich nicht eingeladen.
Zum Vorsitzenden der neuen Gesellschaft wird Georg Bessau gewählt, zum Schriftführer Kurt Hofmeier. Der Staatsrat und spätere Reichsärzteführer Leonardo Conti, der in den Beirat gewählt wird, lässt durch Hofmeier seine Grüße ausrichten. Czerny wird Ehrenmitglied. Die neue Gesellschaft veranstaltet wie ihre Vorgängerin monatliche Fortbildungsveranstaltungen. Bis zum Sommer 1943 erscheinen die Sitzungsberichte in verschiedenen pädiatrischen Zeitschriften. Wann genau der Krieg weitere Sitzungen unmöglich gemacht hat, ist nicht bekannt. Am 16. November 1944 verstirbt Georg Bessau an einem Hirntumor, wenige Wochen nachdem Bomben einen großen Teil der Kinderklinik zerstört haben.

Ab 3.12.44 leitet Hans Kleinschmidt bis zum Kriegsende kommissarisch die Charité- Kinderklinik. Das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus (KAVH) wird von 1942 bis 1952 von Gerhard Joppich geleitet.

 

3. Nachkriegsgeschichte:

Unter wechselnder Leitung der Kinderklinik (1945 Camann, 1945 Stoeltzner, 1947 Klinke, 1951 Brugsch, 1951 Dost, 1960 Dieckhoff) erholte sich die Charité erst langsam von den Kriegsschäden.
Bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 kam es, nach einer Verabredung zwischen Klinke und Joppich, zu regelmäßigen „Kinderärztlichen Abenden“ in der Stadt, die abwechselnd in der Charité und dem KAVH abgehalten wurden und der Fortbildung dienten. Eine Wiederbegründung der Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde wurde vermieden, da den Ostberliner Kinderärzten eine Mitgliedschaft nicht gestattet worden wäre.

Nach der Teilung der Stadt 1961 fanden diese „Kinderärztlichen Abende“ unter Leitung von Adalbert Loeschke nur noch im KAVH statt.

1953 Gründung der „Vereinigung Westberliner Kinderärzte“, dem späteren Berufsverband, der sich ausschließlich berufsständischen und wirtschaftlichen Fragen widmete.
Nachdem zunehmend mehr Westberliner Kinderkliniken eigene Fortbildungsveranstaltungen durchführten, wandte sich der damalige Vorsitzende der „Vereinigung Westberliner Kinderärzte“, Heimo Isbert, in Schreiben an Loeschke und die Chefärzte aller Westberliner Kinderkliniken 1964 und 1968 mit dem Vorschlag, doch wieder eine Berliner Gesellschaft zu gründen, die die wissenschaftlichen Themen vertreten sollte.

 

4. Gründung der „Berliner Kinderärztlichen Gesellschaft“ in West-Berlin:

Erst neun Jahre später war es soweit: Am 19.10.1977 stand auf dem Programm des „Kinderärztlichen Abends“ im KAVH die Gründungsversammlung für eine „Berliner Kinderärztliche Gesellschaft“.
Den Namen hatte man gewählt, solange die Teilung der Stadt eine (Gesamt-)Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde nach altem Vorbild unmöglich machte.

Zwei Monate später, am 14.12.1977, fand die Konstituierende Mitgliederversammlung der „Berliner Kinderärztlichen Gesellschaft“ statt, auf der die Satzung bestätigt wurde und ein Vorstand gewählt wurde. Erster Vorsitzender wurde Hans-Siegfried Otto, der Chefarzt der Kinderklinik Heckeshorn.

Die erste wissenschaftliche Fortbildungsveranstaltung der neuen Gesellschaft, die gleichzeitig die öffentliche Gründungsfeier darstellen sollte, fand am 15. 3. 1978 in der Berliner Kongresshalle statt. Nach der Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden sowie den Senator für Gesundheit und Umweltschutz, Günther Pätzold, und den Vorsitzenden der Akademie für Ärztliche Fortbildung, Prof. Dr. Dietrich Lerche, sprachen als Referenten: Prof. Dr. Gerhard Joppich, Göttingen, über „50 Jahre im Dienst des Kindes“ und Prof. Dr. Ettore Rossi, Bern, über „Kinder der Dritten Welt“. Anschließend lud die Firma Milupa zu einem Imbiss.

Letzteres provozierte eine Gruppe von Studenten und jungen Ärzten unter der „konspirativen“ Leitung des Neurochirurgen Ernst Fuchs, der später als Carlos Vanzetti nach Nicaragua ging, zu einem lautstarken Protest, in dem auf die Verstrickung der europäischen Nahrungsmittelindustrie in Hunger und Infektionen in der Dritten Welt hingewiesen wurde. Das Buffet danach fand nur wenige Interessenten.

In den folgenden Jahren fanden regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen zu klinischen und wissenschaftlichen Themen statt, gelegentlich zusammen mit anderen medizinischen Fachgesellschaften und mit dem Berufsverband. Es fanden zusätzlich verschiedene Samstagsseminare statt, besonders für junge Assistenten. Einzelne Veranstaltungen anderer Westberliner Kinderkliniken (Rittberg, Heckeshorn, Wedding, Neukölln) wurden unterstützt.

Vorübergehend gab es in der Gesellschaft zwei Ausschüsse:
1. ein Ausschuss für Schulprobleme, besonders unter Migrantenkindern (Leitung: Otto) und
2. ein Ausschuss für behinderte Kinder (Leitung: Hanefeld)

Verschiedene Jubiläen wie 80 Jahre KAVH (Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus) und der 50. Todestag von Leo Langstein wurden von der Gesellschaft gefeiert. Es gab 1992 eine gemeinsame Gedenkveranstaltung zum Tode von Arvo Ylppö, Gerhard Joppich und Egon Werner.

1982 fand ein Gesellschaftsabend im Hotel Steigenberger statt. 1986 eine gemeinsame Dampferfahrt mit Programm..

 

5. Organisation der Kinderheilkunde in Ost-Berlin:

Nach dem Bau der Mauer wurde am 5.6.1962 in Ost-Berlin die „Deutsche Gesellschaft für klinische Medizin“ der DDR gegründet, die aus sechs Sektionen bestand. Eine war die „Sektion Pädiatrie“.
Die „Sektion Pädiatrie“ wurde 1967 in „Gesellschaft für Pädiatrie“ umbenannt. Um eine bessere Optimierung der regionalen Arbeit zu ermöglichen, wurden 1970 im Rahmen der „ Gesellschaft für Pädiatrie“ sechs Regionalgesellschaften gegründet. Eine dieser Gesellschaften war die Regionalgesellschaft Berlin (Berlin (O)/Brandenburg), die von 1970-1991 existierte. Die Regionalgesellschaft hatte 1990 etwa 900 Mitglieder. Den Vorsitz der Regionalgesellschaft hatte jeweils einer der Leiter der größeren Kinderkliniken inne.

Vorsitzende der Regionalgesellschaft Berlin (Berlin (O)/Brandenburg)
1970-1972 Schreiter, Berlin Friedrichshain
1972-1977 Schmitz, Berlin-Buch
1978-1979 Adler, Eberswalde
1980-1984 Hübschmann, Potsdam
1985-1986 Großmann, Berlin -Charité
1987-1990 Mücke, Berlin Charité
1990-1991 Schneeweiß, Berlin-Friedrichshain

Während der zwanzig Jahre ihres Bestehens führte die Regionalgesellschaft Berlin 31 Tagungen durch, die im Durchschnitt über zwei Tage liefen und in Berlin und größeren Orten Brandenburgs stattfanden. Die Tagungen hatten überwiegend einen Fortbildungscharakter. Zudem wurden auch Gedenktagungen zu Jubiläen namhafter Berliner Pädiater durchgeführt.

Nach der Wende wurde in einer freien Wahl ein neuer Vorstand gewählt, der die Gesellschaft im Zeitraum 1990/1991 führte.
Hierzu gehörten folgende Fachvertreter, die unter Nennung Ihrer Institutionen aufgeführt werden:

Schneeweiß, Berlin Friedrichshain (Vorsitzender)
Tacke, Berlin-Buch (Stellvertretender Vorsitzender).
Amendt, Berlin-Charité
Dörffel, Berlin- Buch
Hesse, Berlin-Lichtenberg (Lindenhof) Federlein, Frankfurt/Oder
Hein, Potsdam,
Kalz, Neuruppin,
Krüger, Brandenburg,
Frau Müller, Potsdam
Frau Rotzoll, Angermünde

Der neu gewählte Vorstand traf in einer Sitzung am 18.1.1991 die Entscheidung, (entsprechend der vorgesehenen Auflösung der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR, die am 28.2.1991 mit dem Ziel des Beitritts der Mitglieder zur „Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde“ erfolgte), die Auflösung der Regionalgesellschaft zu beschließen.

Ziel war es eine schnelle Wiederbelebung der traditionsreichen Gesamtberliner „Gesellschaft für Kinderheilkunde“ sowie auch die Bildung einer regionalen Organisation für Brandenburger Kinderärzte zu ermöglichen.
Die ehemalige Westberliner „Kinderärztliche Gesellschaft“ wurde Ende 1991 in „Gesellschaft für Kinderheilkunde“ umbenannt, so wurde der Rahmen für eine wiedervereinigte Berliner kinderärztliche Gesellschaft geschaffen.

 

6. Wiederbegründung der „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“:

Mit dem Fall der Mauer 1989 begann eine intensive Begegnung mit den Kollegen in Ostberlin. In den Jahren 1990 und 1991 wurde nahezu jede zweite Veranstaltung in den Räumen und mit den Referenten einer Ostberliner Kinderklinik durchgeführt, um sich näher kennenzulernen (Charité, Buch, Friedrichshain, Lindenhof, Weißensee) Ende 1991 beschloss die Mitgliederversammlung auf Vorschlag des Vorstandes, die Gesellschaft wieder umzubenennen in „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“, um die Gesamtberliner Tradition wieder aufzunehmen.

 

7. Umbenennung in „Berliner Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“ im Jahr 2002

 

8. Vorsitzende, Vorstand und Fortbildungsbeauftragte

der „Berliner Kinderärztlichen Gesellschaft“ (bis 1989), der „Berliner Gesellschaft für Kinderheilkunde“ (bis 2002) und der „Berliner Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“ (ab 2002):

Vorsitzende
1977 – 1985 Hans-Siegfried
1985 – 1989 Otto Leonore Ballowitz
1989 – 1995 Thomas Lennert
1995 – 1997 Hans Helge
1997 – 2001 Hartmut Siemes
2001 – 2013 Rainer Rossi
2014 – 2017 Werner Luck
Seit 2018 Volker Stephan

Vorstandsmitglieder
2012-2013
Rainer Rossi, Martina Weh, Kerstin Weber
2014-2015
Werner Luck, Volker Hesse, Christoph Hertzberg, Nidar Afsar, Christian Bader
2016-2017
Werner Luck, Volker Stephan, Christoph Hertzberg, Nidar Afsar, Christian Bader
Seit 2018
Volker Stephan, Christoph Hertzberg, Nidar Afsar, Christian Bader, Klemens Raile

Fortbildungsbeauftragte
1977 – 1980 Hansjörg Riehm
1981 – 2001 Jürgen Kunze
2002 – 2007 Christoph Hübner
2008 – 2013 Heiko Krude
Seit 2014  Klemens Raile

____

Impressum
Im Auftrag des Vorstands der „Berliner Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin“ zusammengestellt von Thomas Lennert, 10.12. 2008, Ergänzt wurde der Bericht durch einen Beitrag über die Regionalgesellschaft Berlin – Ost der Gesellschaft für Pädiatrie durch Volker Hesse am 6.7.2015 (unter Einbeziehung der Angaben von B. Schneeweiß, Berlin, Monatsschrift Kinderheilkunde (1994) 142, Suppl.2. 33-34). Bearbeitet C. Bader.